für eine emanzipatorische und sozial-ökologisch gerechte Stadtpolitik

Die Verdrängung des Ladens „Kamil Mode“ und was wir daraus lernen können für die Arbeit gegen die Gentrifizierung

„Kamil Mode“ wurde verdrängt – gegen den knallharten Vermieter half auch die geballte Solidarität der Nachbarschaft letztlich nicht. Es ist ein Beispiel der krassen Ungleichheit im Verhältnis zwischen Gewerbevermieter*innen und -mieter*innen und setzt ein Schlaglicht darauf, dass endlich mehr für einen Kleingewerbeschutz getan werden muss.

Mit Hilfe der Engagierten wurde letztlich wenigstens ein Ausweichladen gefunden, in den die Familie Qadri umziehen konnte, um ihre Existenz zu sichern.

Als Träger des Projektes zur Unterstützung der Initiativenarbeit im Fall „Kamil Mode“ freuen wir uns die Ergebnisse in Form von Dokumentationen veröffentlichen zu können:
Die Studie „Kamil Mode – Dokumentation einer Verdrängung“ liegt nun vor und der in der Begleitung der Aktionen entstandener Film „Kamil Mode – Wie wollt ihr leben?“ hat Premiere.

Cover der Studienveröffentlichung

Einladung zur Premierenfeier

Ergebnisse und abgeleitete Forderungen aus der Studie

Die vorliegende Studie verdeutlicht den kausalen Zusammenhang zwischen einem massiven Aufwertungsdruck im Wohnbereich und den großen Mietkostensteigerungen im gewerblichen Bereich. Sie zeigt die gravierenden negativen Effekte des nicht vorhandenen rechtlichen Mietschutzes für kleingewerbliche Strukturen exemplarisch am Fall Kamil Mode.

Sie verdeutlicht zudem Strategien, die in dieser Situation versuchen, die gewachsenen und für die Vielfalt der Berliner Kieze stehenden Strukturen (Kreuzberger Mischung) zu schützen und öffentliche Aufmerksamkeit für diese kritische Entwicklung zu erzeugen ̶ und damit potentiell Verdrängungen zu verhindern.

Beratungs- und Förderstruktur für Kleingewerbe als aufsuchende Gewerbemietberatung

Die vorliegenden Studie zeigt, wie anhand einer aufsuchenden Beratung und Begleitung innerhalb kurzer Zeit spezifisches Erfahrungswissen gesammelt, direkte Kontakte aufgebaut und ansatzweise selbstorganisierte Strukturen entwickelt werden können. In Anlehnung an diese Arbeit wird die Einrichtung einer aufsuchenden und aktivierenden Beratungs- und Förderstruktur für Kleingewerbe mit dem Ziel der Selbst-Organisation von Gewerbetreibenden und Anwohner*innen als absolut notwendig angesehen, um direkt und trotz der aktuell gegebenen schwierigen Rahmenbedingen effektiv weitere Verdrängungen zu verhindern. Dies muss die Möglichkeit der Fallbegleitung und den Aufbau eines kompetenten Beratungsnetzwerkes bis hin zu fachvertrauten Anwält*innen beinhalten. Anbieten würde sich dafür z.B. ein Pilotprojekt am Kottbusser Damm. Hierbei muss beachtet werden, dass eine große Distanz und Zurückhaltung vieler insbesondere migrantischer Gewerbetreibenden zu behördlichen Institutionen besteht. Ziel muss es sein, die Distanz zwischen den Betroffenen und den Angeboten durch vertrauensvolle Aktive, die einen ähnlichen Hintergrund besitzen sowie durch positive Fallbeispiele abzubauen.

Erstellen einer Studie zu Möglichkeiten und Grenzen des Schutzes für Gewerbe im Rahmen der Milieuschutz-Verordnung

Die Möglichkeiten für einen Schutz von kleingewerblicher Strukturen in Milieuschutzgebieten muss schnellstmöglich in einer Studie konkret untersucht werden, um mögliche Wege für eine gezielte Anpassung und Ergänzung der rechtlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen.

Aufzeigen und analysieren aktueller Verdrängungsprozesse durch begleitende Studien

Aktuelle Verdrängungsfälle sowie der ablaufende Wandel der Kieze sollten verstärkt durch Fallstudien wie die vorliegende begleitet werden. Eine solche vertiefte Analyse deckt die Mechanismen der Verdrängung auf und kann Beiträge gegen die Verdrängung von Kleingewerbe und Wohnungen. Derzeit wird der ablaufende Verdrängungsprozess nicht analytisch begleitet. Er wird oft nur durch einzelne Beispiele sichtbar. Ein Monitoring der aktuellen Veränderung und Aufarbeitung des bisherigen Verdrängungsprozesses sollte die Dimension der Verdrängung sichtbar machen. Dabei sollte aufgrund der positiven Erfahrungen in der vorliegenden Fallstudie der Ansatz der Aktionsforschung aufgegriffen und vertieft werden. Er ermöglicht das Sammeln direkten Erfahrungswissens sowie eine enge Zusammenarbeit mit Betroffenen in Recherche, Analyse sowie Aufarbeitung der erarbeitenden Erkenntnisse, Maßnahmen und Konzepte. Das bisher in der vorliegenden Fallstudie gesammelte Erfahrungswissen sollte so aufgegriffen, weiter fundiert und allen Betroffenen und Interessierten einfach zugänglich gemacht werden.

Umsetzung aller möglichen Maßnahmen, um der weiteren Verdrängung von Kleingewerbe in den Kiezen Einhalt zu gebieten.

Die vorliegenden Studie zeigt ein ganzes Spektrum von Maßnahmen und Handlungsoptionen, die potentiell Betroffenen bekannt gemacht werden müssen, um sie selbst Handlungsfähig zu machen. Ebenso bedarf es der weiteren Sensibilisierung aller Beteiligten in Behörden und Ämtern, um im Akutfall schnell reagieren und fallspezifisch konkrete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Das setzt einen Paradigmenwechsel der Behörden von einer verwaltenden hin zu einer fördernden und unterstützenden Grundhaltung voraus.

Offensive Informationspolitik der öffentlichen Hand

Wichtig sind Informationskampagnen zur Verdrängungsproblematik für potentiell Betroffene: Welche Gefahren bestehen? Welche Möglichkeiten und Rechte habe ich? Was kann ich im Fall einer Kündigung bzw. massiven Mietsteigerung tun? Eine offensive Informationspolitik der öffentlichen Hand ist notwendig, um den individualisierten, stillen Rückzug vieler Betroffener entgegenzuwirken und ihnen Möglichkeiten des Aktiv-Werdens zu verdeutlichen.

Einbindung der Initiativen-Ko-Produktionen

Die Arbeit von Initiativen muss stärker unterstützt, anerkannt und in die bezirklichen Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die in den Initiativen vorhandene Expertise muss ernst genommen und gefördert werden. Ziel sollten hier gemeinsame Projekte und Ko-Produktionen von Zivilgesellschaft und Verwaltung bzw. Politik sein. Der Forderung nach mehr Selbst-Bestimmung und -Verwaltung in den Bezirken sollte von der Politik mehr Raum gegeben werden (Bottom-up-Ansätze, vgl. Kotti-Coop e.V. 2018).

Klare Standards für gewerbliche Mietverträge

Gewerbliche Mietverträge brauchen bessere Standards, z.B.: längere Laufzeiten, eine Begrenzungen der Mieterhöhungen, einen längeren Kündigungsschutz sowie die Darlegung von fundierten Kündigungsgründen (vgl. z.B. Gewerbemietverträge in Frankreich: Alaris Avocat 2019).

Förderung von Kleingewerbe und Schaffung von günstigen Gewerbeflächen im Bezirk

Günstige Gewerbeflächen für Kleingewerbe, sozialen Einrichtungen, Selbstständige, Künstler*innen usw. müssen als ein relevanter prozentualer Anteil an der Gesamtgewerbefläche proaktiv im Bezirk erhalten und neu geschaffen werden – ähnlich den sozialgebundenen Wohnungen. Für ein weiterhin lebendiges Kiezleben mit funktionierender Nahversorgung sind diese Flächen unverzichtbar.

Kampagne für ein Gewerbemietschutz

Zur Erhaltung der Berliner Mischung und einer heterogenen Kiezstruktur ist neben den Wohnungsmietschutz ein gewerblicher Mietschutz notwendig. Alle politischen Vertreter*innen sollten dazu eine nachhaltige Kampagne für einen Gewerbemietschutz starten.

Keine Unterstützung von Räumungen

An Hand der vorliegenden Fallstudie wird das massive Ungleichgewicht zwischen Gewerbevermieter*innen und -mieter*innen deutlich. Dieses Ungleichgewicht wird derzeit nicht durch gesetzliche Regularien moderiert bzw. ausgeglichen. Auch wurde das Problem der gesundheitlichen Gefährdung durch die Existenzbedrohung der Betroffenen durch die Praxis von Zwangsräumungen dargestellt. Wir erklären uns daher solidarisch mit der Neuen Berliner Linie und fordern: keine weiteren Zwangsräumungen durch den Rot-Rot-Grünen Senat!


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