für eine emanzipatorische und sozial-ökologisch gerechte Stadtpolitik

Initiativenforum – Bericht vom Hearing #1: Klares Bekenntnis zum neuen Format

Regelmäßiger Dialog mit den Initiativen im Abgeordnetenhaus

Der 5. Juni 2019 ist ein extrem heißer Tag. Im Raum 311 des Abgeordnetenhauses fächeln sich gut 40 Menschen Luft zu: Mieter*innen-Initiativen, Mieterräte und Mieterbeiräte treffen sich mit Vertreter*innen der Berliner Koalitionsfraktionen. Die Mitte-Links-Regierung hat sich selbst den Arbeitsauftrag gegeben, eine neue Kultur der politischen Beteiligung zu verwirklichen – heute kann sie ihn erfüllen.

Erste Veranstaltung dieser Art – Startpunkt für das Initiativenforum Stadtpolitik Berlin

In einem kurzen Vortrag stellt Magnus Hengge den konzeptionellen und strukturellen Aufbau des Initiativenforums mit seinen vier Säulen vor. Das Initiativenforum wird neben dem Format des „Stadtpolitschen Hearings“ noch drei weitere Aufgaben übernehmen: Es will „Initiativenverstärker“ sein, einen Referent*innendienst für Initiativen einführen und eine landesweite Redaktion aufbauen, die beim aktivistischen Agenda Setting unterstützen soll.

Die Hearings geben Initiativen die Möglichkeit, ihre Anliegen und Forderungen direkt an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und die Regierungskoalition zu richten. Thematisch fokussiert werden vier Mal im Jahr öffentliche Debatten stattfinden, in denen die Koalitionsparteien Stellung beziehen und auf die Forderungen antworten sollen. Die Veranstaltungen werden komplett dokumentiert und alle Inhalte veröffentlicht. Die wohnungspolitischen Sprecherinnen der drei Fraktionen der Regierungskoalition setzen auf diesen regelmäßigen Dialog und haben eine nachhaltige Unterstützung zugesagt.

Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen ist die Unabhängigkeit des Initiativenforums von der Politik bzw. der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, über welche die Koordination des Projekts finanziert werden soll. Die inhaltliche Autonomie garantiert ein Beirat, der sich selbst beruft, dessen Mitglieder aus der Initiativenlandschaft kommen und dessen Zusammensetzung sich laufend verändern soll. Er wird das bestimmende Organ sein und die Abfolge der Themen für die Hearings festlegen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dass auch Initiativen aus den Außenbezirken eine hörbare Stimme bekommen. Der Stadtprojekte e.V. wird das Projekt als technischer Träger verwalten.

Thema: »Mietenentwicklung und Mitbestimmung bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen«

Sandrine Woinzeck am Mikrofon bei Ihrem Beitrag.

Das Thema des ersten Hearings kommt leider mit äußerst sperrigen Begriffen daher, die in Texten außerdem fast immer abgekürzt werden (siehe folgender Abschnitt). Vermutlich auch wegen dieser sprachlichen Hürden sind nur wenige Initiativen intensiv mit den Aushandlungsprozessen rund um die Mietverhältnisse bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen beschäftigt. Dies ist umso bedauerlicher, als die Mitbestimmung der Mieter*innen erst durch den Mietenvolksentscheid erkämpft wurde – einer der großen Erfolge aktivistischer Initiativenarbeit.

Nach der Sommerpause 2019 steht die Novellierung des Wohnraumversorgungsgesetzes (WVG) und der Kooperationsvereinbarung (KoopV) zwischen den landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU), verschiedenen Senatsverwaltungen (SenSW, SenFin) und der Wohnraumversorgung Berlin-AöR (WVB) an. Die erste Kooperationsverhandlung wurde in der Folge des erfolgreichen Mietenvolksentscheids beschlossen. Sie setzt wesentliche Rahmenbedingungen für die knapp 300.000 Wohnungen im Bestand der sechs LWU.

Mit dem Hearing beziehen die Initiativen und Vertretenden der Mieter*innen nun sehr früh ihre Positionen als Ausgangspunkt für die Debatte. Nach einführenden Vorträgen erheben Aktivist*innen aus den Initiativen Mietenvolksentscheid (Horst Arenz) und KusWo – kommunal und selbstverwaltet (Marie Schubenz, Kristina Dietz, Sandrine Woinzeck) ihre Forderungen. Videodokumentation des Hearings auf YouTube ansehen

Die Forderungen der beteiligten Initiativen in Kurzform:

  • Mietentwicklung bzw. Kappung, z.B. auf maximal ortsübliche Vergleichsmiete (OVM) im Neubau, bei Wiedervermietung auf OVM minus zehn Prozent
  • Vergabe freiwerdender Wohnungen an förderungswürdige Haushalte, z.B. 66 Prozent an WBS-Berechtigte
  • Mietzuschuss, wenn die Warmmiete über 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens ausmacht
  • Umlage der Modernisierung auf vier Prozent der Kosten, begrenzt auf deren Amortisierung
  • Modernisierung nur mit mehrheitlicher Zustimmung der Mieterschaft
  • Strikte Trennung von Instandhaltung und Modernisierung
  • Förderung von Mieterräten und Mieterbeiräten durch Unternehmen, Förderung ihrer Zusammenarbeit (inkl. gesetzlicher Verankerung)
  • Ausweitung der bestehenden Mitbestimmungsmöglichkeiten
  • Anerkennung selbstorganisierter Mieter*innenorganisationen
  • Einführung standardisierter Pachtverträge und Kooperationsverträge als Recht zum Ausbau der Mitbestimmung und Selbstverwaltung
  • Einhaltung und Ausweitung der sozialen Belegungskriterien und die Überprüfung von deren Einhaltung.

Im Anschluss werden die Politiker*innen um eine erste Stellungnahme gebeten. Hier und im weiteren Verlauf zeigt sich, dass mit dem Hearing Probleme und Forderungen direkt ans Parlament gerichtet werden können, die die Politiker*innen zuvor nicht erreicht hatten.

Einblicke in die Diskussion der Koalitionsparteien über den geplanten Mietendeckel

Iris Spranger (Sprecherin für Bauen, Wohnen, Mieten der SPD) betont in ihrem Statement, dass der geplante Mietendeckel auf viele Forderungen Einfluss hätte, da er den Mietspiegel ersetze. Auf Nachfrage erklärt sie sich mit einer Begrenzung der Umlagekosten für Modernisierungen auf vier Prozent und den Zeitraum ihrer Abzahlung einverstanden. Mit den Beiräten in den LWU wollen sie starten, aber perspektivisch auch die privaten Gesellschaften in die Pflicht nehmen. Gaby Gottwald (Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, Die Linke) erklärt, unabhängig vom geplanten Mietendeckel müssten das Wohnraumversorgungsgesetz und die neue KoopV 2019 neue Maßstäbe setzen und insbesondere die möglichen Mietsteigerungen bei Neuvermietung deutlich begrenzen. Was den Neubau betreffe, müsse darüber gesprochen werden, welchen Bedarf das öffentliche Bauen abdecken solle. Besonders knapp seien Single-Wohnungen und Wohnungen mit mehr als fünf Zimmern für große Familien. Katrin Schmidberger (Sprecherin für Wohnen und Mieten, Die Grünen) weist darauf hin, dass immer weniger Menschen mit WBS in die Bestände aufgenommen würden. Hierfür böte ein Mietendeckel keine Lösung. Die Vergabequote an Mieter*innen mit WBS solle bei Neubauten auf 75 Prozent erhöht werden. Ebenso brauche es verbindliche höhere Quoten für die Sicherung und Aufnahme von Kleingewerbe und sozialen Einrichtungen in Gewerbeflächen bei den LWU. In der Novellierung fehle außerdem eine Strategie gegen Zwangsräumungen.

Gewobag besonders im Fokus

In der Diskussion weisen viele Mieterräte und Mieterbeiräte auf eine Vielzahl von Problemen hin, die berechtigt daran zweifeln lassen, ob die LWU – insbesondere die Gewobag – die in der KoopV definierten Mitbestimmungsprozesse mit der gebotenen Ernsthaftigkeit betreiben. Die ehrenamtlich Tätigen erklären, sie fühlten sich „verarscht“. Auch im „Modellprojekt“ am Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor, das 2017 rekommunalisiert wurde, müsse jeder einzelne Schritt mühsam erkämpft werden.

Dokumentation von Hearing #1

Berichte in den Medien

Hintergrundinformationen