Im Rahmen der Konzeptförderung des Bundesbildungsministeriums sind unserem Projekt-Team inzwischen zwei Coachings zugute gekommen. Beide Termine haben uns maßgeblich weitergebracht und dazu geführt, dass sich das bisherige Konzept des Projektes ›Kiezgeschichten‹ deutlich verändert hat. Uns ist klar geworden, dass wir nicht nur eine, sondern zwei Zielgruppen haben.
Wir machen eine Toolbox rund ums Geschichtenerzählen
Zwei Zielgruppen
Die erste Zielgruppe, die wir mit dem Werkzeugkasten ansprechen, sind Menschen die ihre Stadt, ihre Orte und Nachbarschaften gestalten. Menschen, die selbstorganisiert in Initiativen und Vereinen aktiv sind oder auch kommunale Kooperationsparnter*innen sind. Sie haben die gleiche Erfahrung gemacht wie wir: Es gelingt viel zu selten, viele unterschiedliche Menschen in die Stadtgestaltung einzubeziehen. In den Prozessen der Stadtgestaltung fehlen Viele, für die der öffentliche Raum gemacht werden soll, für die dieser Raum besonders wichtig ist.
Das liegt manchmal daran, dass die Ansprache in top-down Verfahren funktionalistisch und mit bestimmen Zielsetzungen verbunden ist. Oft reagieren Menschen darauf mit einem Satz wie „Mir wird doch eh nicht zugehört, wenn ich nicht sage, was ihr hören wollt“. Und eine solche Haltung ist oft tatsächlich berechtigt.
Auch engagierte Basisgruppen tendieren dazu, Menschen zu verlieren, je stärker sie sich auf komplexe Prozesse und Rahmenbedingungen einlassen und je mehr sie sich Professionalisieren um in Verfahren der Stadtgestaltung wirksamer zu werden. Kleine Gruppen bilden dann hohe Expertise aus, aber bald schleicht sich das Gefühl ein, allmählich die Bodenhaftung zu verlieren. Aus den Betroffenen werden Aktivist*innen und bald fast schon Politiker*innen, und dabei wird die Gruppe immer kleiner und einheitlicher. Solche zivilgesellschaftlichen Gruppen brauchen Werkzeuge fürs Community Buildung oder Community Development – brauchen Möglichkeiten dem Kiez zuzuhören, mehr statt immer weniger zu werden, die vielen anderen mitzunehmen.
Für sie alle entwickeln wir einen Kiezgeschichten-Werkzeugkasten. Damit können sie selbst Geschichten erzählt bekommen und je nach Anliegen, können sie damit Geschichten für viele Leute hörbar machen. Es können Gemeinsamkeiten in den Geschichten gefunden werden. Die Kiezgeschichten-Werkzeuge können von den Anwender*innen bewertet werden, um die herauszufinden, was am besten für die jeweilige Gruppe oder ein bestimmtes Thema funktioniert hat.
Wenn die Engagierten dann ein eigenes Kiezgeschichtenprojekt haben – also bestimmte Werkzeuge zum Geschichten aufnehmen und anhören in einem spezifischen Kontext selbst verwenden –, dann gehen sie darüber mit ihrer Zielgruppe in Austausch, die je nach Einsatzgebiet oder -zweck sehr unterschiedlich sein kann. Dies ist unsere zweite oder im zweiten Schritt erreichte Zielgruppe. Bei dieser zweiten Zielgruppe geht es darum Kiezgeschichten als Erzählsituationen anzubieten und Werkzeuge zu nutzen um Menschen im Kiez zu erreichen, die sich bisher wenig gefragt fühlten und sich deshalb kaum in stadtgestaltende Prozesse einbringen.
Identitäten sind der Schlüssel
Das Erzählen und Hören von persönlichen Geschichten anderer Menschen in der gleichen Nachbarschaft (in Berlin = „Kiez“) schafft nicht nur Verbindungen zwischen den Menschen, sondern -je nachdem wer und wie gefragt – ist es die Chance Stimmen hörbar zu machen, die sonst kaum gehört werden. Wenn die Geschichte eines Menschen wahrgenommen wird, ist das eine Anerkennung und Wertschätzung.
Die Identität als „Mensch im Kiez“ ist der Anlass zuzuhören und es bringt alle auf die gleiche Augenhöhe. Die Schülerin, der Arbeitslose, die Ladenbesitzerin, der Sanitäter, die Professorin und der Besucher der Bürgerhilfe – sie alle sind Leute im Kiez, die eine Geschichte zu erzählen haben.
Viele Werkzeuge zum Aufnehmen und Hören der Geschichten
Unterschiedliche Gruppen haben teils sehr verschiedene Interessen und Fähigkeiten: Der 80-Jährige im Altenheim wird wohl nicht TikTok verwenden, um einer 55-Jährigen was zu erzählen. Der 16-Jährige Rapper ist nicht in der Facebook-Gruppe der 40-Jährigen Motorradschrauberinnen sein. Trotzdem ist in allen Gruppen das „Geschichtenerzählen und -hören“ ein Vehikel dafür, etwas von anderen mitzubekommen.
Es braucht darum unterschiedliche Aufnahme- und Anhör-Situationen (verschiedene Medien und soziale Situationen für In- und Outputs) und vertrauenbildende Methoden, damit Menschen in den jeweiligen Communites sich aufs Erzählen einlassen. Personen oder Institutionen, die in diesen Communities glaubhaft anerkannt sind („Standing“ haben) werden daher wichtige Stützen (Multiplikator*innen) in den Anwendungsprojekten sein.
Spezielles Toolset für jedes Anwendungsprojekt
Wahrscheinlich sollten andere Werkzeuge zur Anwendung gebracht werden, wenn Jugendliche in einer Plattenbausiedlung Spaß beim Erzählen und Hören haben sollen, als wenn die Geschichten von Senior*innen als Nutzer*innen eines Parks zu hören sein sollen. Darum gibt es viele sehr unterschiedliche Werkzeuge, die für manche besser und für andere schlechter funktionieren. Und viele dieser Werkzeuge, Methoden und gut funktionierenden Erzähl- und Hörsituationen sind sogar schon im Einsatz, werden bereits erprobt und führen zu vielen erfolgreichen Erzähl-Projekten. Die guten Vorgehensweisen, technischen Lösungen und Erfahrungen will das Kiezgeschichten-Projekt für alle verfügbar machen.
Welches Set für eine bestimmte Projektaufstellung besonders empfehlenswert sein könnte, wird evaluiert. Immer wenn ein Werkzeug in Anwendung kommt, wird ermittelt, wie gut es funktioniert hat: Haben die Menschen Spaß damit gehabt? Haben sie Geschichten erzählt, die auf besondere Konflikte hingewiesen haben?
So entsteht mit der Zeit ein immer besser erforschter Werkzeugkasten und die Anwender*innen können bei der Aufstellung ihres Projektes immer sicherer sein, dass erwünschte Ergebnisse auch tatsächlich erzielt werden können.
Die Geschichten haben es in sich
Die Inhalte der Geschichten sind wertvoll, weil sie Hinweise darauf geben können, was in einem Viertel besonders geschätzt oder beklagt wird. In den Erzählungen werden Situationen beschrieben, die einen räumlichen Kontext haben, auf dessen Gestaltung so eingegangen werden kann, dass vielleicht öfter so etwas Schönes geschieht, wie es in einer Geschichte erzählt wird. Oder vielleicht können sich wiederholende negative Geschichten dazu führen, dass an bestimmten Orten solche Erfahrungen nicht mehr gemacht werden müssen, weil durch eine Intervention die Situation verändert werden kann.
Um solche qualitativen Auswertungen machen zu können, werden die Geschichten technisch und redaktionell aufgearbeitet.